Warum ich mir Wegwerfmode abgewöhnen will?
Da ist es schon wieder, das Bild von dem knöchellangen Plisseerock in meiner Lieblingsfarbe - Hochsommerhimmelblau. Das Model trägt ihn lässig, mit einem Oversize-Hoodie und derben Stiefeln. Das würde mir auch gut stehen und außerdem ein bisschen Farbe in den Hamburger Herbst bringen. Ich brauche den Rock nicht wirklich, aber die Plisseerock-Werbung ist in den letzten Tagen mindestens zehn Mal in meinem Feed aufgeploppt – schon gruselig, wie gut Instagram meinen Geschmack kennt. Bald kann ich nicht mehr widerstehen.
Der Rock ist relativ günstig, nur 19 Euro, angeblich runtergesetzt von 49. Ein Schnäppchen. Was soll schon passieren? Selbst wenn er sich als Fehlkauf entpuppt, weil er dick macht, fußelt oder nach der zweiten Wäsche nicht mehr nach Lieblingsblau, sondern nach Spülwassergraubraun aussieht, werfe ich ihn halt weg.
Ja, ich weiß: Das ist alles andere als gut für die Umwelt und mein CO2-Fußabdruck wird dadurch auch nicht besser. Aber dafür fahre ich schließlich viel Rad, trenne Müll, esse Bio-Eier und kaufe mit Jutesäckchen ein... Meine Steuererklärung habe ich gestern auch endlich abgegeben. Da hab ich mir den Rock eigentlich verdient, oder?
So oder so ähnlich denke ich ganz oft. Und kaufe dann das süße Shirt, die coole Jacke oder eben den Plisseerock in Hochsommerhimmelblau. Und wenn ich es mir verkneifen kann, bestelle ich zum Ausgleich was Hübsches für Lilly – dabei ertappe ich mich immer öfter. Seit sie auf der Welt ist, lebe ich meine Kauflust gern mal über sie aus. Dabei quellen unsere Schränke über.
Fünf Milliarden Kleidungsstücke besitzen die Deutschen
Umgerechnet auf jeden Einzelnen heißt das: etwa 95 Kleidungsstücke pro Person. Bei uns zu Hause dürfte es noch viel mehr sein, auch wenn ich noch nicht nachgezählt habe.
Eigentlich wollte ich unsere Kleiderschränke bald mal ausmisten, so wie viele andere während des Corona-Lockdowns, doch daraus wird nichts mehr. Vor ein paar Wochen hat Hamburg die städtischen Altkleidercontainer abgebaut – alle 120. Auf den Containern vom Roten Kreuz kleben Schilder mit der Bitte, nichts mehr einzuwerfen. Das liegt nicht nur daran, dass sie nicht mehr hinterherkommen, angesichts der Altkleidermassen, die die Pandemie aus den Kleiderschränken gefegt hat.
Der Hauptgrund dafür heißt „Fast Fashion“ - „schnelle Mode“
Das Konzept ist gar nicht so neu, schon in den 90er Jahren gab es Mode-Konzerne, die den Herstellungsprozess vom Entwurf bis zur Lieferung der Kleidung innerhalb von nur zwei Wochen schafften. Inzwischen explodiert der Markt, nicht zuletzt durch den Einfluss von Mode-Influencern in sozialen Netzwerken, die ihren abertausenden Followern täglich mehrmals neue Outfits präsentieren – und diese Fans wollen die Mode dann natürlich auch selbst haben, für möglichst wenig Geld, versteht sich. Also wird in Billiglohnländern unter katastrophalen Bedingungen immer noch mehr Billigfashion hergestellt.
Fast-Fashion-Produzenten bringen um die zwanzig Kollektionen pro Jahr auf den Markt – konzipiert als Wegwerfmode. Zum Vergleich: Früher waren es vier – für Frühling, Sommer, Herbst und Winter.
Die „schnelle Mode“ sieht auf den ersten Blick (und fürs Urlaubs-Selfie) gut aus, übersteht aber oft nicht mal die erste Wäsche, so schlecht ist die Qualität. Stört uns Kunden aber kaum – wir tragen den Großteil unserer Kleidungsstücke im Durchschnitt eh nicht öfter als viermal, bevor wir sie entsorgen. Kostet ja fast nichts, tut also auch nicht weh. Vieles ziehen wir Studien zufolge NIE an – ich denke da gerade an das ungetragene gelbe Shirt, die Chinohose und die geblümte Schlaufenbluse in meinem Schrank.
Doch für die Altkleidersammler und Recyclingunternehmen ist die schlechte Qualität ein Riesenproblem. Gebrauchte Fast Fashion lässt sich nicht mehr weiterverkaufen, denn sie fällt nach kürzester Zeit auseinander. Zudem besteht die Wegwerfmode aus preiswerten Kunstfasern, allen voran Polyester. Heute sind 65 Prozent aller Textilfasern auf dem Weltmarkt Kunstfasern, nur dadurch ist es überhaupt möglich, so billig zu produzieren. Diese Kunstfasern eignen sich aber nicht fürs Recycling, erst recht nicht, wenn es sich um Mischfasern handelt – also beispielsweise Baumwolle gemischt mit Polyester. Dafür fehlen die technischen Möglichkeiten. Aus diesen Gründen geben viele Altkleiderverwerter einfach auf und werfen das Handtuch.
Inzwischen frisst sich das System sogar selbst
Oft werden Fast Fashion Kollektionen nicht abverkauft und wandern ungetragen aus dem Laden direkt in die Müllverbrennung, um Platz für die nächste Billig-Kollektion zu schaffen.
Kein Wunder, dass die Textilindustrie inzwischen einer der größten Klimasünder ist – sie produziert jährlich rund 1,2 Milliarden Tonnen CO2, Tendenz: stark steigend. Das ist mehr als internationale Flüge und Schifffahrt zusammen – das muss man sich mal vorstellen.
35 Prozent des Mikroplastiks in den Weltmeeren stammen von synthetischen Textilfasern – das Mikroplastik entsteht dabei unter anderem durch den Abrieb beim Waschen der Kleidung.
Ich bin keine ausgewiesene Klimaaktivistin, aber diesen Wahnsinn will ich nicht mehr mitmachen. Darum habe ich ein paar gute Vorsätze gefasst, obwohl es noch ein paar Monate hin ist bis Silvester:
In unsere Kleiderschränke lasse ich kein Polyester mehr, auch keine Fasergemische – nur dann besteht die Möglichkeit, dass unsere Altkleider recycelt werden können. Ich habe mir fest vorgenommen, weniger zu kaufen, mir dafür aber qualitativ hochwertige Kleidung zu leisten, die länger hält – so helfe ich zumindest ein bisschen dabei, die Altkleiderberge zu reduzieren. Darauf werde ich auch bei Lillys Kleidern achten – als Dreijährige wächst sie ja in Überschallgeschwindigkeit aus allem raus und deshalb die Versuchung ist groß, für sie Billigmode zu shoppen. Doch damit ist Schluss – es gibt in Zukunft auch für Lilly weniger, dafür aber Hochwertiges. Ich kaufe es einfach im Oversize-Look und warte, dass sie reinwächst – so kann sie es länger behalten. Mal schauen, ob das klappt.
Mit der netten Nachbarsfamilie habe ich fürs Wochenende ein Kleidertausch-Date vereinbart, die Mutter hat ungefähr meine Größe und ihre kleine Tochter Jule ist etwas größer als Lilly. Auf diese Weise können wir alle unsere Lust auf Neues stillen – Lilly hofft heimlich auf den Pulli mit Igel-Motiv, aus dem Jule rausgewachsen ist.
Den blauen Plisseerock werde ich tapfer wegklicken – und statt dessen die vergessenen Shirts, Jacken und Röcke aus dem Kleiderschrank fischen.
Mal sehen, ob sich da nicht auch was in Hochsommerhimmelblau findet. 🌞
Hinterlasse gern einen Kommentar
Alle Kommentare werden vor der Veröffentlichung geprüft.
Diese Website ist durch reCAPTCHA geschützt und es gelten die allgemeinen Geschäftsbedingungen und Datenschutzbestimmungen von Google.